Wenn wir über Vintage-Uhren sprechen, fallen oft zuerst die großen Namen aus der Schweiz. Doch wer den Blick über den Atlantik wagt, entdeckt eine Marke, die die Uhrenwelt im 20. Jahrhundert nachhaltiger geprägt hat als fast jeder andere Hersteller: Bulova.
Ähnlich wie Enicar, die mit ihren Sherpa-Modellen den Himalaya bezwangen, war Bulova getrieben von technischem Fortschritt und dem Willen, Grenzen zu verschieben. Von der Standardisierung der Produktion bis zur elektronischen Revolution am Handgelenk – hier ist die Geschichte eines Giganten, der den „American Dream“ ticken ließ.

Vom Juwelier zur Weltmarke: Der Anfang
Die Geschichte beginnt 1875 in New York City. Joseph Bulova, ein Einwanderer aus Böhmen, eröffnete einen kleinen Juwelierladen. Doch sein Anspruch war größer als nur Schmuck. Er wollte Zeitmesser schaffen, die nicht nur präzise, sondern auch für die breite Masse erschwinglich waren.
In einer Zeit, in der Uhren noch weitgehend in Handarbeit als Einzelstücke gefertigt wurden, revolutionierte Bulova die Industrie: Er führte die Standardisierung von Bauteilen ein. Das bedeutete, dass Ersatzteile zwischen Uhren austauschbar waren – ein Konzept, das die Wartung revolutionierte und die Massenproduktion von Qualitätsuhren erst ermöglichte.
Fun Fact: Bulova war nicht nur technisch, sondern auch im Marketing ein Pionier. 1941 strahlte Bulova den ersten Fernsehwerbespot der Geschichte aus. Ein kurzes Bild einer Uhr über einer Karte der USA mit dem Slogan: „America runs on Bulova time.“ Kostenpunkt: 9 Dollar.
Die Accutron-Revolution: Das Summen der Zukunft
Wenn es ein Kapitel gibt, das Bulova unsterblich gemacht hat, dann ist es die Erfindung der Accutron.
Bis in die späten 1950er Jahre basierten Uhren auf der Unruh, die hin und her schwang. Bulova wollte mehr. Der Ingenieur Max Hetzel entwickelte eine Technologie, die alles veränderte: die Stimmgabeluhr.
Anstatt zu ticken, wurde eine Stimmgabel durch elektromagnetische Impulse in Schwingung versetzt (360 Hz). Das Ergebnis war eine für damalige Verhältnisse unglaubliche Präzision (Abweichung von nur einer Minute pro Monat) und ein charakteristisches Geräusch. Eine Accutron tickt nicht – sie summt. Zudem gleitet der Sekundenzeiger so flüssig, wie es selbst moderne Automatikwerke kaum schaffen.
Als die Bulova Accutron 214 im Jahr 1960 auf den Markt kam, war sie die erste vollelektronische Armbanduhr der Welt. Sie war kein Spielzeug, sie war ein wissenschaftliches Instrument.
Bulova und der Weltraum: Das NASA-Duell
Jeder kennt die Geschichte der Omega Speedmaster auf dem Mond. Aber die Rolle von Bulova im Weltraumrennen („Space Race“) ist mindestens genauso spannend.
Während Omega die Armbanduhren für die Astronauten lieferte, verließ sich die NASA bei den Bordinstrumenten und Timern auf die Accutron-Technologie von Bulova. Warum? Weil mechanische Werke in der Schwerelosigkeit theoretisch anfälliger waren und Quarzuhren noch nicht existierten. Die Accutron-Technik war robust, präzise und bewährt.
Accutron-Mechanismen wurden in Satelliten (Vanguard 1) und in den Mondlandefähren verbaut. Ein interessantes Detail für Sammler: Dave Scott trug während der Apollo-15-Mission – nachdem das Glas seiner Omega geplatzt war – seine private Bulova Chronograph auf der Mondoberfläche. Diese Uhr wurde vor einigen Jahren für über 1,6 Millionen Dollar versteigert.
Die Ikonen: Welche Vintage-Modelle gehören in die Sammlung?
Für Vintage-Sammler bietet Bulova eine unglaubliche Bandbreite – von eleganten Art-Déco-Stücken bis hin zu funkigen 70er-Jahre-Chronographen. Hier sind die Modelle, nach denen du Ausschau halten solltest:
1. Die Accutron Spaceview
Eigentlich war dieses Design ein Unfall. Bulova produzierte Modelle ohne Zifferblatt als Ausstellungsstücke für Händler, damit Kunden die revolutionäre Stimmgabel-Technik sehen konnten. Die Kunden wollten aber genau diese Uhren kaufen.
- Merkmal: Kein Zifferblatt, freier Blick auf die grünen Spulen und die Stimmgabel, futuristisches Design.
- Status: Eine absolute Design-Ikone des 20. Jahrhunderts.
2. Der „Devil Diver“ (Oceanographer Snorkel)
Bulovas Antwort auf die Rolex Submariner und Blancpain Fifty Fathoms.
- Der Spitzname: Während Schweizer Uhren oft „200m“ (ca. 656 Fuß) wasserdicht waren, labelte Bulova seine Uhren frech mit 666 Feet. Dies brachte der Uhr den Spitznamen „Devil Diver“ ein.
- Design: Wunderschöne, aufgesetzte Leuchtindizes (die wie kleine Glasröhrchen wirken) und oft farbenfrohe Zifferblätter.
3. Chronograph „C“ (Stars and Stripes)
Ein massiver Chronograph aus den frühen 70ern, der laut und stolz ist.
- Merkmal: Das Gehäuse ist riesig und hat keine klassischen Hörner. Das Zifferblatt in Rot, Weiß und Blau ist patriotisch und typisch für die Ära. Angetrieben oft vom legendären Valjoux 7736.
4. Accutron Astronaut
Die Uhr für Piloten und Reisende.
- Merkmal: 24-Stunden-Lünette und ein GMT-Zeiger. Sie wurde von Piloten der X-15 (dem schnellsten Flugzeug der Welt) und von CIA-Piloten der A-12 (Vorgänger der Blackbird) getragen, da sie unter extremen Bedingungen (Hitze, G-Kräfte) präziser war als mechanische Uhren.
Warum Bulova heute sammeln?
Ähnlich wie bei Enicar bekommt man bei Vintage Bulova extrem viel Uhr für sein Geld („Value Proposition“).
- Historische Relevanz: Du trägst ein Stück Industriegeschichte am Handgelenk. Die Accutron war der Vorbote der Quarz-Krise.
- Design-Vielfalt: Von dressig bis toolig, von konservativ bis spacig – Bulova hat alles gemacht.
- Gesprächsstoff: Das Summen einer Accutron oder die „666 Feet“ auf dem Zifferblatt eines Divers sind perfekte Einstiege in Gespräche mit anderen Uhrenliebhabern.
Ein Wort der Vorsicht: Bei Accutron-Uhren ist der Zustand der Spulen entscheidend. Ersatzteile werden seltener, und nicht jeder Uhrmacher traut sich an die Stimmgabel-Technik heran. Aber wenn sie läuft (und summt), ist es ein Erlebnis, das keine andere mechanische oder Quarz-Uhr bieten kann.
Fazit
Bulova ist mehr als nur eine „amerikanische Kaufhausmarke“, als die sie in späteren Jahren manchmal wahrgenommen wurde. Die Vintage-Modelle zwischen 1950 und 1975 zeugen von einer Ära, in der Bulova technologisch Weltmarktführer war.
Wer den Pioniergeist der Raumfahrt-Ära und mutiges Design sucht, kommt an Bulova nicht vorbei. Es sind Uhren für Entdecker – genau wie die Sherpas von Enicar, aber mit einem ganz eigenen, amerikanischen Rhythmus.
