Was macht ein Uhrmacher bei der Revision einer Vintage-Uhr?

Eine Revision (auch „Wartung“ oder „Generalüberholung“ genannt) ist bei mechanischen Uhren – und ganz besonders bei Vintage-Uhren – nicht nur eine technische Maßnahme, sondern auch eine Form des Erhalts. Denn nur eine regelmäßig gewartete Uhr läuft zuverlässig, präzise und bleibt langfristig sammelwürdig.

Doch was genau passiert eigentlich bei einer Revision durch einen erfahrenen Uhrmacher, insbesondere bei einem Modell aus den 1940er bis 1970er Jahren?
Dieser Beitrag gibt dir einen Einblick in die einzelnen Arbeitsschritte – von der ersten Prüfung bis zur abschließenden Feinregulierung.


Eingangskontrolle & Diagnose

Bevor überhaupt ein Schraubendreher angesetzt wird, begutachtet der Uhrmacher die Uhr als Ganzes:

  • Allgemeinzustand von Gehäuse, Glas, Krone, Drückern und Armband
  • Prüfung der Zeigerstellung, Aufzugsmechanik und Gangverhalten
  • Sichtprüfung durch Gehäuseboden (falls mit Sichtfenster)
  • Gangprotokoll auf der Zeitwaage (Amplitude, Abweichung, Schlagfehler)
  • Erste Einschätzung: Lohnt sich eine Revision? Gibt es offensichtliche Schäden?

Ziel: Feststellen, was nötig ist – einfache Wartung oder umfangreiche Reparatur


Demontage

Nach dem Öffnen des Gehäuses beginnt die sorgfältige Zerlegung:

  • Abnehmen des Uhrwerks aus dem Gehäuse
  • Entfernen von Zeigern und Zifferblatt
  • Vollständige Demontage des Werks – jedes Zahnrad, jede Feder, jeder Hebel wird einzeln ausgebaut
  • Kontrolle aller Komponenten auf Verschleiß, Rost, Bruch oder Spiel

Besonderheit bei Vintage-Uhren: Der Uhrmacher muss mit Vorsicht und Fingerspitzengefühl arbeiten, da viele Teile nicht mehr lieferbar sind und unsachgemäßer Ausbau Schäden verursachen kann.


Reinigung aller Werkteile

Alle Bauteile werden gründlich in speziellen Reinigungsmaschinen (z. B. mit Ultraschall) und mehrstufigen Lösungsmitteln gesäubert, um:

  • verharztes Öl zu entfernen
  • Mikro-Schmutz und Abriebpartikel zu beseitigen
  • alte Rückstände aus Lagersteinen und Rubinen zu lösen

Wichtig: Einige Teile, etwa Zifferblatt und gebläute Schrauben, dürfen nicht im Ultraschall gereinigt werden – hier ist Handarbeit gefragt.


Prüfung, Nachbearbeitung & Ersatz beschädigter Teile

Nach der Reinigung prüft der Uhrmacher jedes Teil erneut – nun im sauberen Zustand:

  • Sind Zahnräder oder Triebe abgenutzt?
  • Gibt es Spiel in Lagersteinen oder Unwucht in der Unruh?
  • Ist die Spiralfeder korrekt zentriert?
  • Muss ein Teil ersetzt oder neu angefertigt werden?

Besonders bei Vintage-Uhren wichtig:

  • Ersatzteile sind oft nicht mehr erhältlich
  • Erfahrene Uhrmacher können Teile aus anderen Werken anpassen oder sogar neu fertigen

Zusammenbau & Schmierung

Jetzt beginnt der sorgfältige Wiederzusammenbau des Uhrwerks – dabei wird jedes bewegliche Teil exakt positioniert und mit exakt abgestimmtem Uhrenöl oder -fett geschmiert.

Es gibt je nach Bauteil verschiedene Schmiermittel:

  • Federhaus → Spezialfett
  • Lagersteine → Feinstöl
  • Hemmung → kaum oder gar keine Schmierung (wegen Reibungsverlust)

Ein falsch geschmiertes Werk läuft entweder gar nicht oder nutzt sich unnötig schnell ab. Nur ein erfahrener Uhrmacher weiß genau, wo wie viel Schmierung nötig ist.


Feinregulierung und Gangkontrolle

Nach dem Zusammenbau wird die Uhr auf einer elektronischen Zeitwaage geprüft – in verschiedenen Lagen (z. B. Zifferblatt oben, Krone oben etc.):

  • Gangabweichung (s/d): Wie viele Sekunden pro Tag Vor- oder Nachgang
  • Amplitude (°): Wie weit schwingt die Unruh?
  • Beat Error (ms): Ist der Schlag symmetrisch?

Der Uhrmacher justiert über den Rücker oder durch Änderung der Unruhmasse das Werk so, dass es möglichst gleichmäßig und stabil läuft.

Je nach Werk wird auch die Gangreserve geprüft (z. B. bei Vollaufzug – wie lange läuft die Uhr?)


Gehäusebearbeitung (auf Wunsch)

Auf Wunsch des Kunden wird auch das Gehäuse bearbeitet:

  • Glas poliert oder ersetzt
  • Krone, Dichtungen, Tubus und Drücker ersetzt
  • Wasserdichtigkeit geprüft (bei Sport-/Taucheruhren)
  • Gehäuse ggf. gereinigt oder leicht aufpoliert
  • Hinweis: Viele Sammler verzichten bewusst auf Politur, um die originale Form zu erhalten

Endkontrolle & Testlauf

Die fertig revidierte Uhr wird:

  • auf dem Uhrenbeweger oder manuell getestet
  • mehrere Tage auf Gangverhalten, Aussetzer, Datumsschaltung und Amplitude geprüft
  • nochmals gereinigt und sorgfältig verpackt

Der Kunde erhält die Uhr idealerweise mit:

  • Gangprotokoll
  • Dokumentation der ausgeführten Arbeiten
  • Hinweis auf empfohlene nächste Revision (meist in 4–6 Jahren)

Fazit: Eine Revision ist mehr als ein Ölwechsel – sie ist Werterhalt

Gerade bei Vintage-Uhren ist eine fachgerechte Revision entscheidend für den Werterhalt und die Funktionstüchtigkeit. Nur ein erfahrener Uhrmacher kann die Substanz der Uhr respektieren, originale Teile erhalten und sicherstellen, dass die Uhr auch in 10, 20 oder 50 Jahren noch läuft.

Wer Vintage sammelt, sollte regelmäßige Revisionen als Investition betrachten – nicht als Kostenpunkt.


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